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    Das Bruttoinlandsprodukt wächst langsamer, die Produktivität geht seit über einem Jahrzehnt zurück. Gleichzeitig bleibt die Arbeitslosigkeit weltweit ein drängendes gesellschaftliches Problem. Doch es bildet sich ein neues Paradigma heraus, das die Organisation unseres Wirtschaftslebens radikal verändern wird.

    Die Europäische Union schlägt mit ihrer „Smart Europe“-Initiative einen mutigen neuen Kurs ein. Ihr Ziel: eine intelligente, grüne Digitalwirtschaft des 21. Jahrhunderts. Aber um zu verstehen, welche Veränderungen da vor sich gehen, müssen wir uns klarmachen, welche Rolle der technische Fortschritt spielen wird. Alle großen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft haben drei Dinge gemein: neue Kommunikationsmöglichkeiten, neue Energiequellen und neue Mobilitätsformen.

    ©Andrey Suslov/ Shutterstock

    Die drei Internets

    Heute erlebt die Europäische Union eine dritte industrielle Revolution. Angetrieben wird sie durch die allmähliche Verschmelzung von drei Technologien: einem digitalen Internet für die Kommunikation, einem digitalen Internet für erneuerbare Energien und einem digitalen Internet für die automatisierte Mobilität.

    Im 19. Jahrhundert gaben dampfgetriebene Druckmaschinen, der Telegraf, die Kohle und Lokomotiven den Anstoß zur ersten industriellen Revolution. Im 20. Jahrhundert brachten uns Elektrizität, Telefon, Radio und Fernsehen, billiges Öl und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren die zweite industrielle Revolution. Und heute erlebt die Europäische Union eine dritte industrielle Revolution. Angetrieben wird sie durch die allmähliche Verschmelzung von drei Technologien: einem digitalen Internet für die Kommunikation, einem digitalen Internet für erneuerbare Energien und einem digitalen Internet für die automatisierte Mobilität.

    Diese drei Internet-Technologien fußen auf der Infrastruktur des Internets der Dinge. Sie werden von Grund auf verändern, wie Kommunikation, Energie und Mobilität in der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts organisiert werden. Im Internet der Dinge sorgen Sensoren dafür, dass Geräte miteinander und mit Internetnutzern kommunizieren und jederzeit aktuelle Daten liefern. Schon heute haben wir 14 Milliarden Sensoren in Warenlagern, Straßennetzen, Fertigungsbändern, Stromübertragungsnetzen, Büros, Wohnungen, Geschäften und Fahrzeugen. Sie speisen fortlaufend große Datenmengen in das Kommunikations-, das Energie- und das Mobilitäts-Internet ein. Bis 2030 werden vermutlich mehr als 100 Billionen Sensoren Daten sammeln und übertragen.

    Private Unternehmen und Behörden können heute große Datenmengen auswerten und Algorithmen entwickeln, um ihre Produktivität zu steigern, den Klimawandel zu bekämpfen und die Kosten für Produktion, Vertrieb, Konsum und Recycling von Waren und Dienstleistungen zu senken. Das macht Unternehmen wettbewerbsfähiger, wird aber in der Zukunft die Art und Weise wie wir in einer globalisierten Welt Wirtschaft betreiben grundlegend verändern. Die Grenzkosten mancher Waren und Dienstleistungen in einem intelligenten Europa werden gegen null gehen. Das heißt: Millionen Menschen können über das Internet der Dinge in der sogenannten Sharing Economy fast kostenlos Produkte herstellen und austauschen. Schon heute produziert und teilt eine digitale Generation Musik, Videos, Nachrichtenblogs, Social-Media-Beiträge, kostenlose E-Books und offene Massen-Onlineseminare zu Grenzkosten von nahe null. Das Null-Grenzkosten-Phänomen hat die Musikbranche in die Knie gezwungen, die Fernsehwirtschaft erschüttert, Zeitungen und Magazine vom Markt verdrängt und den Buchverlagen das Wasser abgegraben. Google, Alibaba, Facebook, Tencent, Twitter, YouTube und Tausende andere Internet-Unternehmen verdanken dem Phänomen ihren Aufstieg. Sie erwirtschaften satte Gewinne mit neuen Anwendungen und Netzwerken, die der Sharing Economy zur Blüte verhelfen.

    Welch gewaltige Auswirkungen die Grenzkosten von nahe null auf die Informationsgüterindustrie haben, steht außer Frage. Bis vor Kurzem ging die Fachwelt aber davon aus, dass die Produktivitätsfortschritte der Digitalwirtschaft nicht auf die herkömmliche Wirtschaft übergreifen – weder auf die Energiewirtschaft noch auf andere Wirtschaftszweige, die Waren und Dienstleistungen anbieten. Der Schutzwall ist nun eingestürzt. Mit dem Internet der Dinge kann jedes Unternehmen künftig seine eigene erneuerbare Energie erzeugen und verteilen, autonome Elektrofahrzeuge gemeinsam nutzen und an 3-D-Druckern seine eigenen Produkte herstellen – zu geringen Grenzkosten oder, in der Sharing Economy, zu Grenzkosten von nahe null, wie es mit digitalen Informationen bereits geschieht.

    Das sind die Chancen der neuen, intelligenten digitalen Infrastruktur im Zeitalter der dritten industriellen Revolution.

    Es gibt aber auch Risiken. Was ist mit der Netzneutralität? Wie stellen wir sicher, dass alle gleichermaßen Zugang zu diesem neuen Internet der Dinge haben, dem Nervensystem der dritten industriellen Revolution? Wie sorgen wir dafür, dass Regierungen das Netz nicht für politische Zwecke einspannen? Wie verhindern wir, dass riesige Monopolisten die Daten für ihre eigenen Zwecke nutzen? Wie schützen wir die Privatsphäre, wenn alle im Netz sind? Wie schaffen wir Datensicherheit in einer vernetzten Welt? Wie wehren wir Cyberkriminelle und Cyberterroristen ab, die das System angreifen und Wirtschaft und Gesellschaft lahmlegen können? Dieses DarkNet ist genauso beindruckend wie die Möglichkeiten des BrightNet. Die nächsten drei Generationen werden in einer neuen politischen Bewegung dafür kämpfen müssen, dass das Darknet nicht triumphiert, dass wir ein dezentrales Internet haben und dass wir eine große Gründerwelle für Sozialunternehmen erleben.

    Sonne, Speicher und Sensoren

    Ein „Smart Europe“ benötigt eine veränderte Infrastruktur. Europa muss sein Kommunikationsnetz aufrüsten, damit wir überall den Breitbandstandard der fünften Generation und kostenloses WLAN haben. Die Energieinfrastruktur muss umgebaut werden – weg von fossilen Brennstoffen und Atomkraft hin zu Solar-, Wind- und anderen erneuerbaren Energien. Millionen Gebäude müssen in Mikrokraftwerke verwandelt und entsprechend nachgerüstet werden.  Speichertechnologien müssen in jede Ebene der Energieinfrastruktur integriert werden. Aus dem Stromnetz muss ein intelligentes digitales Energie-Internet werden, in das Millionen grüner Mikrokraftwerke ihren Strom einspeisen können. Der Verkehrs- und Logistiksektor muss durchgehend digitalisiert werden. Wir brauchen Millionen Ladestationen und Tausende Wasserstofftankstellen für Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge. Intelligente Straßen mit Millionen Sensoren müssen Daten zum Verkehrsfluss und Gütertransport liefern.

    ©maxpro/ Shutterstock

    Dies schafft Arbeit in ganz Europa – für Geringqualifizierte, Fachkräfte und Wissensarbeiter. Sie werden die drei Internets und das Internet der Dinge als digitale Plattform einer neuen Wirtschaft aufbauen und betreiben. Zig Millionen Wohn-, Büro- und Industriegebäude in Europa müssen über die kommenden Jahrzehnte nachgerüstet und in dezentrale Datenknoten, Mikrokraftwerke und Ladestationen für Elektrofahrzeuge verwandelt werden. Dieser gewaltige Umbau wird Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig fallen Millionen Stellen weg – in der Technik und Fertigung, bei Stromversorgern, in der Transport- und Logistikbranche, im Informations- und Kommunikationssektor, im Bau- und Immobilienwesen, im Handel und in der Landwirtschaft. Viele Beschäftigte werden Umschulungen benötigen, und die jungen Menschen, die erst noch in den Arbeitsmarkt kommen, müssen die passenden Fähigkeiten erlernen – nur so können sie die Geschäftschancen nutzen und die neuen Berufe besetzen, die mit der Infrastruktur des Internets der Dinge entstehen.

    Der Umbau des Energiesystems weg von fossilen Brennstoffen und Atomkraft hin zu Solarkraft, Windkraft und anderen erneuerbaren Energien ist ungemein arbeitsaufwendig.

    Der Umbau des Energiesystems weg von fossilen Brennstoffen und Atomkraft hin zu Solarkraft, Windkraft und anderen erneuerbaren Energien ist ungemein arbeitsaufwendig. Europa wird dafür Millionen von Arbeitskräften benötigen, Tausende Unternehmen werden neu entstehen. Die Verwandlung des Stromnetzes in ein Energie-Internet schafft Jobs in der Installation und Chancen für Tausende Start-ups, die passende Webanwendungen entwickeln. Ähnliche Effekte dürfte es haben, wenn die wirtschaftliche Infrastruktur mit Speichertechnologien ausgerüstet wird, um die Versorgung mit sauberem Strom zu sichern.

    Der Wechsel von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor hin zu elektrischen Autos und Brennstoffzellentechnologie wird eine Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur in Europa notwendig machen. Die Millionen Ladestationen für elektrische Autos an Straßen, Schienen und Parkplätzen werden ein massives Aufgebot an Arbeitskräften benötigen.

    Für die Menschheit bedeutet es einen großen Sprung nach vorne, wenn sämtliche Gebäude große Datenmengen verarbeiten können, wenn Algorithmen und Anwendungen massive Effizienz- und Produktivitätszuwächse anstoßen und wenn die Grenzkosten für Kommunikation, Energie und Mobilität in der Wirtschaft sinken. Und wenn wir in einer Sharing Economy oder Kreislaufwirtschaft teilen, was wir dann noch produzieren – Autos, Wohnungen, Spielzeug –, landet nichts auf dem Müll. Unser kollektiver ökologischer Fußabdruck wird kleiner, wir bremsen den Klimawandel, und die Gesellschaft bricht in ein ökologisches Zeitalter auf.

    Stellen wir uns vor, dass Millionen Familien, Tausende Gemeinwesen und Hunderttausende Unternehmen ihre eigene erneuerbare Energie zu Grenzkosten von nahe null erzeugen und sie über ein nationales und europaweites Erneuerbare-Energien-Internet teilen. Dann werden wir den Gedanken der kollektiven Verantwortung für die europäische Gesellschaft und unseren Planeten mit ganz neuen Augen sehen. Im Biosphärenzeitalter versorgt uns jede und jeder Einzelne in Europa mit sauberer, erneuerbarer Energie und bereitet den Weg in eine nachhaltigere Welt. 

    ©Josep Suria/ Shutterstock

    Mehr Macht den Menschen

    Bislang haben drei Regionen einen Fahrplan für eine integrierte dritte industrielle Revolution erarbeitet und begleitende Initiativen für den Umbau ihrer Wirtschaft entwickelt: die Region Hauts-de-France, die Metropolregion Rotterdam und Den Haag sowie das Großherzogtum Luxemburg. Diese Vorreiter zeigen uns, wie wir uns den Paradigmenwechsel zu einem intelligenten Europa zunutze machen und seine Herausforderungen bewältigen können.

    Bislang haben drei Regionen einen Fahrplan für eine integrierte dritte industrielle Revolution erarbeitet und begleitende Initiativen für den Umbau ihrer Wirtschaft entwickelt: die Region Hauts-de-France, die Metropolregion Rotterdam und Den Haag sowie das Großherzogtum Luxemburg.

    Die drei Regionen haben damit ein neues Kapitel aufgeschlagen. Wie sie ihre Wirtschaft und Gesellschaft steuern werden, spiegelt wider, wie die neue Infrastruktur der dritten industriellen Revolution aussehen könnte. Die Verschmelzung des Kommunikations-Internets, des Erneuerbare-Energien-Internets und des automatisierten Mobilitäts-Internets auf der Plattform eines Internets der Dinge verändert nicht nur, wie diese Regionen Kommunikation, Energie und Mobilität in ihrer Wirtschaft organisieren, sondern auch den politischen Prozess selbst. Die Infrastrukturen der ersten und zweiten industriellen Revolution waren zentral und hierarchisch ausgestaltet, sie basierten auf Eigentum und vertikaler Integration. Die dritte industrielle Revolution gelingt am ehesten in einer dezentralen, kollaborativen, offenen und lateral skalierten Infrastruktur. Dafür werden ganz neue Formen der Lenkung nötig sein.

    Vor dem Hintergrund der Chancen und Herausforderungen dieser neuen technologischen Revolution haben sich die Regierungen der Region Hauts-de-France, des Großherzogtums Luxemburg und der Metropolregion Rotterdam und Den Haag zu einer Zusammenarbeit mit der TIR Consulting Group (deren Präsident ich bin) entschlossen. Sie wollen ihre traditionelle zentrale Aufsichts- und Planungsfunktion in die eines lateralen Moderators in einem regionalen Netzwerk verwandeln. In diesem Netzwerk handeln engagierte Interessenträger als gleichberechtigte Partner und verwirklichen gemeinsam eine neue wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Vision, mit der sie ihre Regionen in die intelligente digitale Welt führen.  Hunderte sozioökonomischer Akteure aus Regierung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft beteiligten sich aktiv an der Entwicklung der entsprechenden Fahrpläne und der begleitenden Projekte in den Regionen.

    Diese Fahrpläne sind lebendiger Ausdruck dessen, was als Herzstück des Vertrags von Maastricht gilt: des Subsidiaritätsprinzips. Demnach sollen alle Entscheidungsprozesse, die nicht in die formelle Zuständigkeit der EU fallen, zunächst auf örtlicher, regionaler oder nationaler Ebene ablaufen. Das Subsidiaritätsprinzip wird in den Städten und Regionen immer wichtiger. Der Grund: Die digitale Revolution macht vor politischen Grenzen nicht halt, sondern vernetzt die Kommunen europaweit in einem intelligenten digitalen Raum.

    Während die erste und zweite industrielle Revolution eine eher hierarchisch organisierte, vertikal integrierte Form der Globalisierung hervorbrachten, führt die dritte industrielle Revolution die Menschheit in eine eher lateral vernetzte Welt: Städte, Regionen, Staaten und Staatenbünde kooperieren Seite an Seite in riesigen virtuellen und physischen Netzen und schaffen so ökologisch nachhaltigere und gerechtere Lebensverhältnisse. 

    Lokale und regionale Interessenträger werden in großem Stil in die Ausarbeitung und Umsetzung einer neuen technischen Infrastruktur eingebunden und schreiben an der Idee und am Drehbuch mit. So sind die Fahrpläne für die dritte industrielle Revolution ein Musterbeispiel für ein gelebtes Subsidiaritätsprinzip und veranschaulichen, worum es beim Übergang von der Globalisierung zur Glokalisierung geht. Damit sind sie Vorbild für ähnliche lokale und laterale Modelle in Metropolregionen, Randbezirken und ländlichen Gebieten in den 28 EU-Ländern und weltweit.

    Der nachfolgende Text gibt die Ansicht der Autoren wieder, die nicht unbedingt der Sichtweise der Europäischen Investitionsbank entspricht.

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